Ruhrpott

Im Sommer der nur so heißt, ohne einer zu sein ….

… begreifen wir jede Tour, die uns nach Süden führt, als Chance, noch ein wenig Sonnenschein zu erhaschen. So auch die kleine Reise in den Ruhrpott, unter dem Motto „beim Essen in Essen den Regen vergessen“. Sturm, Graupel, fallende Temperaturen und jede Menge Niederschläge prophezeit der Wetterbericht unserer Region für die nächsten Tage, also keine ungewöhnliche Konstellation in diesem Spätsommer.

Wir denken, dass es im Pott nur besser sein kann, denn Duisburg galt immerhin schon einmal als einer der wärmsten Orte DeutschlandsJa, da staunt der Leser. Was uns ein wenig stutzen lässt, sind die Wolken, die sich bei Abfahrt an uns heften. So als ob im Wagen ein Gerät installiert ist, mit dem es uns orten kann, folgt uns das schlechte Wetter.

Die Ankunft zeigt uns als erstes, das Ruhrgebiet braucht sich, was das Potential an Windstärke und Niederschlägen angeht, nicht zu verstecken und kann locker mit unserem Norden mithalten. Wir gastieren in Essen, nahe beim Szeneviertel der Rüttenscheiderstraße aka „Rü“. Dort, wo es kultig ist, soll unser Dinner eigentlich unter freiem Himmel stattfinden. So der Plan.Tatsächlich landen wir in einem Restaurant und das ist gut so. „Essen in Essen“ bei Regen, lässt sich im Trockenen viel mehr abgewinnen.

Die Szene an der Rüttenscheider Straße lernen wir die nächsten Tage noch besser kennen und schätzen.

Erster Vorteil, hier versammelt sich auf überschaubarem Raum alles ..

… was in anderen Städten über mehrere Kieze verstreut und verschachtelt ist. Die Rü erlaubt Dir einen Bummel, bei dem die Orientierung simpel gehalten ist. Wir reden über eine Straße, wo alles, was das Herz an Lokalitäten begehrt, wie an einer Schnur hintereinander aufgereiht ist, wo du unterirdisch mit der Bahn eine Station weiterfährst und beim Aussteigen merkst, dass du immer noch auf der Rü bist. Authentische Fotos aus der Rüttenscheider Straße gibt’s von uns leider nicht wegen zu viel Flüssigkeit (Regen und Essener Bier).

Zweiter Vorteil, hier gibt es alles, denn auf der Rü schließt die Anwesenheit von dekadentem Luxus die preiswerte Gemütlichkeit im traditionellen Stil nicht aus. Currywurst mit Pommes essen wir in einer Sternevariante, stylish bei Nelson Müller.

Den Ausklang gönnen wir uns in der Kneipe schräg gegenüber, wo das regionale Pils noch 1,50 kostet und ein knittriger Stammgast mit einladendem Lächeln dem Fremden einen Barschemel rüberschiebt.

Der Vollständigkeit erwähnen wir das Stadtzentrum …

… auf der anderen Seite des Essener Hauptbahnhofs, im europäisierten Look. Wie alle Innenstädte Deutschlands und unseres vereinten Kontinents, trifft der Besucher hier auf die Marken und Ketten, die er aus seiner eigenen Stadt kennt. Sogar die Schaufensterdekorationen wirken wie geklont. Man mag es mögen oder verdammen, in Zeiten der realen Globalisierung werden regionale Spezialitäten an die Stadtränder outgesourced.

Dass Essen ein UNESCO Weltkulturerbe besitzt, wollen wir nicht unbedingt als Allgemeinwissen voraussetzen. Aber früher oder später findet sich jeder auswärtige Besucher hier ein, denn es gibt kaum eine Ecke in Essen, die nicht auf diese Lokalität verweist. Zurecht, wie wir feststellen, nachdem wir mit der S-Bahn 107, die zur Tram mutiert, vom Hauptbahnhof in den Essener Stadtteil Katernberg bis zur Haltestelle Essen-Zollverein-Nord fahren.

Was uns erwartet, ist die Zeche Zollverein,

…. eine von ursprünglich hunderten im Ruhrgebiet, die nachdem sie 1986 wirtschaftlich stillgelegt wurde, komplett erhalten blieb. Ein geniales Zeugnis meisterlicher Industriearchitektur und Gesamtkunstwerk vergangener Montanindustrie, schlicht eben das schönste Bergwerk der Welt.

Unsere Kenntnisse über Kohle und Erzförderung sind, euphemistisch ausgedrückt, extrem bescheiden: “Loch buddeln, Leute runter schicken, schwarzes Zeug raushauen, nach oben schicken, verkaufen und verheizen.” Wie abwegig unsere Vorstellungen sind, wird uns klar, als wir die Dimension der Anlage überblicken, die sich vor uns auftürmt.

Dass hier tatsächlich ein riesiges Areal vor uns liegt, lässt sich schon daran erkennen, dass das Gelände sogar die Dimension für Laufwettbewerbe hat. Im strömenden Regen und sichtlich hochmotiviert bewegen sich Geher, Nordic Walker und Läufer über die Promenade, die wie ein Ring um die Zeche herumführt.

Leute, die so wenig wissen wie wir, brauchen eine professionelle Führung …

… um ihre Vorurteile neu zu gruppieren. Wir sind angemeldet, dank glänzender Vorbereitung unserer Visite durch gute Freunde, und nehmen am 2 Stunden Rundgang teil. Und diese Veranstaltung hat es in sich. Unmengen an komplexen Informationen bekommen wir, durch einen Guide, der mit Leib und Seele quasi selbst integraler Bestandteil der Zeche ist, so, als wäre die noch immer eine pulsierende Produktionsstätte. Alle Abteilungen betreten wir, blicken von ganz oben wie die Adler über das Gelände und wühlen uns später wie die Maulwürfe in klaustrophobische Gewölbe.

Wer gut aufpasst, wird Schritt für Schritt mit den Abläufen und der Logik der Einrichtungen so vertraut gemacht, dass am Ende keine Frage mehr offen bleibt. Wie es funktioniert, ist für uns Laien am übersichtlichsten in einem Diagramm skizziert, das wir am Schluss des Rundgangs in einer Art musealen Kammer entdecken. Bis wir dort ankommen fotografieren wir, versuchen Zusammenhänge zu verstehen und staunen. In der Tat sind wir am Schluss merklich aufgeschlaut, von wegen “Loch buddeln …” und fragen uns nur noch, warum Politik und Wirtschaft das Revier aufgeben und ob es nicht Sinn macht, irgendwann unter neuen Bedingungen fortzuführen, was so groß begann.

Da wir im Pott sind, macht es Sinn, solche Themen abends beim Bier zu würdigen,

ein guter Grund sich in die gastronomische Fürsorge der Rü zurückzubegeben.

Vom höchsten Punkt der Zeche Zollverein haben wir bereits das Panorama genossen und wissen, da gibt es noch viel mehr, was besucht werden will. Dafür fahren wir zum Landschaftspark Duisburg-Nord. Die Fahrt dorthin weckt Erinnerungen an ein Land, das in diesen Zeiten zwar geografisch nah und dennoch unerreichbar weit erscheint. Ein Ladenlokal, davor ein Schild mit 7 Pfeilen auf rotem Grund, das Emblem der CHP und überall Wahlplakate wo die Kandidaten aller Parteien Namen tragen wie Tufan, Erhan, Sevim, Tevfik, Mazhar oder Mahmut.

Meiderich ist der Stadtteil, wo August Thyssen ab 1901 ein Hütten- ein Hochofenwerk bauen ließ, dessen alte Anlagen und Hallen nach der Stilllegung in 1985 wie ein Phoenix aus der Schlacke als Zentrum gelebter urbaner Kultur wieder erstand. Wir haben Glück, das Wetter beschert uns Sonnenschein und der Kalender mit der Veranstaltung “Tag der Museen” echte Volksfeststimmung, wobei im Landschaftspark Duisburg-Nord aber ohnehin nie Eintritt verlangt wird.

Zu sehen gibt es viel,

etwa die größte Sandburg der Welt, die speziell für den Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde aufgetürmt wurde, ein wahrer Hingucker.

Weitere rätselhafte Erscheinungen, die uns am Parkplatz beschäftigen, lösen sich auf. Warum in aller Welt stapfen hier Menschen in voller Taucherausrüstung durch die Büsche? Antwort: Sie wollen zum ehemaligen Gasometer, das umgebaut wurde zum größten künstlichen Zentrum für Tauchsport in Europa.

Aber nicht nur in die Tiefe geht es, auch Höhen wollen erklommen werden. Bis auf die höchste Ebene des Hüttenwerkes kann der Besucher steigen und den Rundblick übers Revier mitnehmen.

Es ist aber nicht diese lichte Höhe, die eine Bergsteigerorganisation im Jahr 2002 motiviert hat, hier eine Dependance zu gründen.

D.A.V.S. (Deutscher Alpenverein) Duisburg steht auf der Tafel und 26 m ü.NN. Zur Freude der Aktiven aber auch der Zuschauer wurden ehemalige Erzlagerbunker zu einem Hochseilparcours umfunktioniert, der es in sich hat. Steilwände mit harschen Ecken und Vorsprüngen, an denen Kletterer sehr professionell trainieren können. Sogar Kinder hängen dort an Seilen und kraxeln die Wände hoch und nieder.

Was wir in 2 Tagen erleben, beeindruckt mehr, als wir erhofft haben. Zufall? Wenige Tage nach Rückkehr spielen sie im Radio den Grönemeyer: “Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt, tief im Westen” (Bochum). Hey, das klingt jetzt anders für uns, ich glaub, wir haben’s jetzt verstanden.

Unsere weiteren Ziele in Deutschland: In unserer näheren Umgebung,  Der Darß

 

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