Danzig

Danzig, mehr als nur ein Zwischenstop

Gdansk / Danzig scheint uns schon bei unserer Reisevorbereitung ein lohnenswertes Ziel. Zum einem wegen seiner Bedeutung für das moderne Polen, schließlich ist die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc dort entstanden. Zum anderen wegen seiner Rolle in der komplexen Geschichte Nordosteuropas. Danzig war ja immer Objekt der Begierde, ein ewiger Zankapfel zwischen alten und neuen Nachbarn, die gut oder weniger gut für die Region waren. All das hat Spuren hinterlassen. Wenn wir im Text den deutschen Namen verwenden, hat das übrigens keine revisionistische Gründe, sondern nur stilistische. Danzig ist und bleibt natürlich eine polnische Stadt.

Was wir sehen und worüber wir hinwegsehen

Nach dem 2. Weltkrieg beschleunigte sich das in der Vergangenheit eher langsame Wachstum der Stadt enorm. Die Einwohnerzahl wuchs auf das Vierfache. Inzwischen leben fast eine halbe Million Menschen dort, die natürlich irgendwo wohnen wollen. Polen löste dieses Problem städteplanerisch auch mit Wohnblöcken in Plattenbauweise, die heute optisch Vorstädte und Trabantensiedlungen Groß-Danzigs dominieren. Diese Teile der Stadt gehören nicht zu unserem Besuchsprogramm. Ausfallen müssen auch Abstecher in das Seebad Sopot und den Hafen in Gdynia, dazu reicht die Zeit diesmal nicht. Dafür berichten wir von Ausflügen an die Ostsee und zur Marienburg.

Das historische Danzig

Der touristisch interessanteste Stadtteil Główne Miasto, die sogenannte Rechtstadt, ist das eigentliche historische Zentrum Danzigs. Das Gebiet zwischen Altstadt und Speicherinsel zieht sogar in Zeiten von COVID 19 scharenweise Gäste an. Hier lässt man sich am besten im Besucherstrom treiben oder nutzt die Zeitfenster am frühen Morgen, wenn man Ausblicke sucht, die nicht von Menschen verstellt sind. Denn Sehenswürdiges gibt es viel. Das war nicht immer so. Es gibt Bilder vom Zustand Danzigs nach Kriegsende: Eine desolate Ruinenlandschaft. 80% der Stadt lag in Trümmern. Unglaublich, wie Polen ab 1948 den Wiederaufbau gemeistert hat. Nach Originalvorlagen wurde Rechtstadt in seinen frühneuzeitlichen Formen rekonstruiert und präsentiert sich jetzt wie ein museales Bilderbuch.

Für unsere Stadtwanderung durch die neuen, alten Straßen reichen eigentlich 1-2 Tage. Der Bereich zwischen Podwale-Podmiejeskie und Mottlau ist schachbrettartig angelegt, so dass man kaum eine Attraktion verpasst. Idealerweise startet ein Rundgang an einem der Stadttore. Wir beginnen am Grünen Tor und gelangen von dort direkt auf den Langen Markt und die Langgasse. Durch die prächtige Hauptstraße, in der bis zu ihrer Zerstörung das Großbürgertum residierte, fuhr einst eine Straßenbahn. Heute ist sie eine reine Fußgängerzone und immer noch prächtig. An beiden Seiten umrahmt von eindrucksvollen Fassaden führt sie geradewegs zum Goldenen Tor.

Immer wieder halten wir an, um einzelne Häuser genauer in Augenschein zu nehmen. Viele sind mit kunstvollen Giebeln verziert, mit Wappen und Stuckornamenten geschmückt sowie kleinen Figuren. Alles wirkt proper, wie zur besten Blütezeit. Tribut an eine teure Gegenwart: Die meisten Gebäude werden überwiegend gewerblich genutzt, viele von Restaurants und Cafés. Aber es passt, die Ruhezonen am Straßenrand mit Schirmen und Tischen laden zum Sitzen und Gucken ein. Und zu sehen gibt es mehr als genug. Auch zu hören. Denn ungezählte Straßenhändler und Kleinkünstler sorgen fast über den ganzen Tag für Jubel, Trubel und Vergnügen.

Unübersehbar ist die Beliebtheit eines der populärsten Wahrzeichens Danzigs, dem im 17. Jahrhundert errichteten, kunstvollen Neptunbrunnen, prominent platziert vor dem Artushof. Der genießt als Hotspot für Selfies und Gruppenfotos enorme Aufmerksamkeit und ist fast ständig dicht umlagert.

Etwas besinnlicher geht es bei der nahe gelegenen, imposanten Marienkirche zu. Noch mehr als ihr gewaltiger Innenraum beeindruckt uns allerdings der Blick von außen auf die wohl größte Backsteinkirche Europas. Der mächtige Turm ist übrigens besteigbar. Die Aussichtsplattform beschert nach mühevollen 400 Stufen einen wunderbaren Rundblick.

Auch die anderen, markanten historischen Sehenswürdigkeiten Danzigs, wie das große Zeughaus, Rathaus und die Markthalle sowie das Hohe Tor lassen sich zu Fuß gut erreichen. Ein weiterer Magnet ist die parallel zur Langgasse verlaufende Mariacka. Die Frauenstraße, so der deutsche Name, ist die schönste Straße der Altstadt und wirkt atmosphärisch am authentischsten. Über und unter den Terrassen der Häuser haben sich vor allem Boutiquen, kleine Galerien und diverse Schmuckläden angesiedelt, die natürlich mit Bernstein locken.

 

Nach über zwei Wochen in Polen verwöhnt durch das gastronomische Angebot des Landes, konfrontiert uns Danzig mit einem sehr speziellen Problem. Wo geht man hier gut essen? Es gibt einfach zu viele Lokale. Meist gut besetzt mit Tagestouristen und Speisekarten, die alles versprechen. Eher durch Zufall finden wir ein Restaurant, das alles bietet, was wir suchen. Leckere, gut zubereitete regionale Speisen, freundliches Personal und ein vertretbares Preis-Leistungsverhältnis, dazu ein schöner Blick. Wir erwähnen es gerne, weil wir dort gut polnisch gegessen haben: das KOS in der Ul. Piwna.

Mottlau Hafen

Ein Rundgang durch die historische Rechtstadt wäre nichts, ohne einen Spaziergang über die Promenade an der Mottlau, die gleich auf der dem Wasser zugewandten Seite der Stadtmauer liegt. Erreichbar etwa durch das Grüne Tor oder ganz zünftig durch das Krantor. Die Kanäle und Fleete erinnern ein wenig an Holland oder Hansestädte, die wir aus Deutschland kennen. Dort wie hier sind Speicher und Handelskontore direkt am Binnenhafen gebaut, der im Mittelalter eine enorme Bedeutung für die Stadt hatte.

Touristischer Mittelpunkt ist das Krantor mit dem größten Hafenkran des Mittelalters. Ein Konstrukt, das eingesetzt wurde zum Be- und Entladen von Schiffen und mechanisch betrieben wurde durch Muskelkraft. Das riesige Holzrad im Inneren wurde von laufenden Männern in Bewegung gesetzt. Das lässt sich näher in Augenschein nehmen, wenn man vorhat, das dort untergebrachte Museum zu besichtigen. Wir begnügen uns mit einer Außenansicht und navigieren uns durch die Menschenmenge am Ufer der Alten Mottlau, gehen durch bis zur Brücke vor dem Grünen Tor. Vorbei an dem dort ankernden “antiken” Handelsschiff, dieser kitschigen Kreuzung aus Kolumbus’ Santa Maria und einer stolzen Hansekogge. Für Familien ist das auf jeden Fall eine Gaudi, ebenso wie die Tretboote, die man hier mieten kann.

Auf der anderen Seite der Brücke liegt die Speicherinsel. Groß genug für einen maritim anmutenden Rundgang um alte Lagerhäuser, von denen einige zu Hotels umgebaut sind. Auch hier finden sich Geschäfte, Bars und eine eher hochpreisige Gastronomie. Der Blick hinüber auf Rechtstadt lohnt auf jeden Fall. Kurios ist die im Fluss dümpelnde, moderne Drehbrücke. Leider wird sie gerade nicht benutzt, wir hätten gerne einmal erlebt, wie es aussieht, wenn das Konstrukt sich bewegt. Entschädigt werden wir am Ende des Eilands durch die steil in den Himmel ragende Fußgängerhebebrücke. Sie wird mehrmals täglich abgesenkt und ist dann eine sehr futuristische Form der Flussüberquerung, die gerne von den Leuten genutzt wird.

Malbork

Der Aufenthalt in Danzig lässt uns Zeit genug für Ausflüge in die Umgebung. Mit dem Wagen brauchen wir nur rund 50 km zu fahren bis nach Malbork, einer kleinen Stadt an der Nogat, einem Nebenfluss der Weichsel. Wir besuchen die Marienburg, die im 14. Jahrhundert von den Rittern des Deutschen Ordens erbaut wurde. Ein Ort der Superlative in jeder Hinsicht. Nicht nur wegen der immens hohen Parkgebühren auf dem Acker gegenüber der Burg. Die Ordensburg ist nämlich der größte Backsteinbau Europas.

Nachdem 60% der Festung während des 2. Weltkrieges zerstört war, müsste die sehr gelungene Restauration eigentlich als größtes dreidimensionales Puzzle aller Zeiten im Guiness Buch der Rekorde erwähnt sein. Ist es wohl nicht, aber dafür wird die Marienburg inzwischen als UNESCO Weltkulturerbe notiert.

Obwohl wir früh ankommen, warten bereits Besucher in mehreren langen Schlangen vor dem Eingang. Ja, man hätte sich die Eintrittskarten elektronisch reservieren können, aber dann gilt es immer noch für die Apparatur mit dem Audioguide anzustehen. Ganz wichtig: Ohne so ein Gerät kommt man nicht an der Kartenkontrolle vorbei. Glaubt uns, da können die Polen richtig stur werden. Der Eintritt ist übrigens seniorenfreundlich; zusammen zahlen wir 85 Zloty, inklusive des Rabatts von 10 Zloty. 

Die Besichtigungstour, die einen erwartet, ist angenehm, da dank Corona immer nur begrenzte Besucherkontingente in die Burg gelassen werden. Es gibt kein Gedränge oder Stress wegen Überfüllung. Der Rundgang anhand des Audioguides ist tatsächlich gut konzipiert. Wir sehen alles, und bekommen gute Erläuterungen von Details und Hintergründen, die es braucht, um diese komplexe Anlage zu verstehen. Wer sich nicht in filigranen Details verlieren will, überspringt einfach eine Station. Systematisch geleitet erkunden wir Vor-, Hoch- und Mittelschloss und sind beeindruckt vom Bau und der Ausstattung, die noch vorhanden ist. Die Idee der klerikalen Herrschaft eines orthodoxen Kriegerordens im Namen von Missionierung ist erfreulicherweise längst Geschichte.

Was geblieben ist, lohnt einen Besuch. Leider ist die Ortschaft Malbork so ganz unhistorisch, man kann sie deswegen getrost auslassen und sich lieber noch einen Blick auf die Burg von der anderen Seite des Flusses gönnen.

In der polnischen Sahara, die Düne Leba

Etwa 110 km von Danzig, nahe beim kleinen Ort Leba, im Slowinzischen Naturpark, liegt eine der herausragendensten natürlichen Sehenswürdigkeiten Polens. Die Lontzkedüne, gute 1.300 Meter lang, 500 Meter breit und je nach Jahreszeit zwischen 30 – 42 Meter hoch, ist mehr als nur ein riesiger Sandhaufen. Die Lonztkedüne wandert. Nicht so schnell wie wir, aber immerhin 12 Meter in jedem Jahr. Dabei begräbt sie erbarmungslos die ursprüngliche Landschaft, Hügel und Wälder, ja sogar ganze Dörfer unter sich.

Leba ist gut erreichbar, gleichwohl braucht es Zeit, der zähe Verkehr auf überlasteten Straßen verlangt viel Geduld. Von Leba mit dem Ambiente eines typisch polnischen Ostseebads, fahren wir soweit als möglich an das Dünengebiet. Die Anfahrt bis Rabka ist gut beschildert und der Parkplatz bietet noch leere Plätze. Von dort ist es nicht weit zum Eingang des Nationalparks und wie meist in Polen, sind die Eintrittspreise auch hier recht sozialverträglich.

Bis zur Düne beträgt die Entfernung gute 5 km. Radfahrer und Fußgänger sind auf den ersten Kilometern auf getrennten Wegen durch den wunderschönen Wald unterwegs, am Ende vereinigen sich beide Spuren. Wir haben Glück, heute ist kein Massenandrang, der Spaziergang bis zum Ziel ist angenehm. Nach etwa 3 km entdecken wir eine Art Strandbad. Hier könnte man sich mit Snacks und Getränken versorgen. Bei der Düne selbst gibt es keine Kioske.

Das Terrain erinnert uns an die Dune du Pilat bei Arcachon. Nicht ganz so groß, aber im Prinzip sehr ähnlich. Auch hier wird erklommen, durch feinsten Sand gestapft und beim Abstieg sich den Hang hinabgekugelt. Der Anblick dieses kolossalen Objekts aus reinem Sand lohnt die Wanderung auf jeden Fall. Einer Wüste vergleichbar, regt dieser Ort auch Fantasien an. So geht die Legende, dass die deutsche Wehrmacht hier für den Krieg in Nordafrika trainiert haben soll. Das ist natürlich Quatsch, für diese Geschichte gibt es keinerlei Beleg, aber sie klingt zumindest aufregend. Und was auf jeden Fall stimmt: die Lontzkedüne war durch den Krieg nicht zerstört und brauchte deswegen auch nicht wieder aufgebaut zu werden.

Was wir auslassen, sind die Strände, die entweder im Naturpark oder vom Badeort Leba zugänglich sind. Was wir hier und an anderen Küstenabschnitten mitbekommen, ist aber durchaus positiv. Die Ostsee auf polnischer Seite steht in keiner Beziehung hinter dem zurück, was die Natur etwa im Westen bietet, im Gegenteil. Gewöhnungsbedürftig ist vielleicht das Ambiente. Aber das ist eine andere Geschichte.

Polnisches Tagebuch

Krakau, Auschwitz, Birkenau

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