Veränderungen

Reisen als Herausforderung. Sinnieren, wie Reisen verändert. Macht es uns weiser? Oder stärker? Uns insipiriert es, darüber nachzudenken

Wie alles anfing

Es gibt Zeiten, da möchte man permanent “Wind of Change” pfeifen, um sich bewusst zu machen, dass alles tatsächlich passiert. Dass es kein Traum ist. Das Jahr 2015 war für uns so eine Phase. Begonnen hatte es mit einem traumatischen Erlebnis. Wie in den Jahren zuvor hatten wir für uns im April wieder einen Urlaub in Nepal organisiert. Wir hatten bereits eine Trekking-Tour hinter uns, als alles über uns zusammenstürzen wollte.

Am vorletzten Tag unserer Wanderung traf uns in Chisapani das große Erdbeben. Glück im schweren Unglück, wir kamen unversehrt heraus, die materiellen Verluste haben wir inzwischen vergessen. Nicht ganz abschütteln konnten wir das Trauma. Den Plan, im Herbst ein längeres Trekking in der Dolpo Region zu unternehmen, verschoben wir in die letze Zeile unserer Wunschliste von Zielen, die man unbedingt sehen sollte.

Nicht traumatisch, aber gravierend waren die Veränderungen, die sich ab September des Jahres einstellten

Lange hatte ich die Vorstellung, einen tollen Job, klasse Kollegen und gewogene Chefs gegen Unmengen an Zeit eintauschen zu müssen, verdrängt. Nun war es soweit. Pensionierung heißt das Zauberwort, mit dem Menschen aus der späten Blüte ihres Schaffens heraus gerissen werden. Jedenfalls dann, wenn sie für einen Konzern arbeiten, der Tarifverträge ernst nimmt, und Mitarbeiter in den Ruhestand entlässt, wenn sie das Rentenalter erreichen. Theoretisch war mir klar, dass es irgendwann so kommen würde. Praktisch wollte ich mich nie damit auseinandersetzen.

Dass diese Statusänderung kein Eintritt ins Dasein eines Zausels wurde, hat vor allem die Frau an meiner Seite verhindert

In weiser Voraussicht sorgte sie dafür, dass ich diesen Zustand nicht allein ertragen musste und zog sich ebenfalls aus ihrem Job zurück. Zeit fürs Nichtstun hatten wir somit beide.

Am klügsten war jedoch, mich zu überzeugen, für den September Flüge nach Delhi zu buchen. Hin und zurück, mit einem Aufenthalt von fast 3 Monaten um uns dann, nach kurzem Weihnachtsurlaub in der Heimat, wieder für vier Monate nach Südostasien zu verziehen. Motto: Erst mal weg und dann schauen wir weiter.

Ich reise, also bin ich

Da wir unsere Reisen immer schon eigenverantwortlich organisiert hatten, war klar, dass wir auch unser monatelanges Unterwegssein nicht einem Veranstalter überlassen würden. Wir nahmen es also selbst in die Hand. Die Route für den ersten Teil stand grob fest, nämlich Indien einmal von Nord nach Süd zu durchqueren und dort, wo wir Highlights vermuteten, Schwerpunkte zu setzen. Gebucht hatten wir lediglich die Unterkunft für unseren Ankunftstag, um dann vor Ort zu entscheiden, wie es weiter laufen sollte.

Indien war zwar nicht ganz neu für uns. Wir waren schon einige Male im Nordosten und Nordwesten, aber unter ganz anderen Rahmenbedingungen. Kurze Reisen, von drei bis vier Wochen werden anders angegangen. Das gilt vor allem, wenn man pünktlich wieder am Arbeitsplatz erwartet wird und finanziell besser ausgestattet ist, als Leute, die auf Transferzahlungen angewiesen sind.

Zunächst und ohne weitere Hintergedanken war uns klar, dass wir unsere Reisen künftig dokumentieren und in einem Blog veröffentlichen wollten

Dass diese Entscheidung uns eine Menge Arbeit bescheren sollte, merkten wir erst später. Zufall oder Glückes Geschick: Mit der selbstgewählten Aufgabe, das Bloggen zu erlernen und vorzeigbare Ergebnisse zu präsentieren hatten wir dafür gesorgt, dass es nie langweilig wurde. Auch dann nicht, wenn wir uns zur Entspannung im Hotel aufhielten. Wir hatten immer eine anspruchsvolle Aufgabe. Reisen muss ja nicht nur Selbstzweck sein, sondern kann ja durchaus Sinn stiften, in einer höheren Bedeutung.

Indien wurde ein Erfolg, in vielerlei Hinsicht. Was wir erlebten und wie wir es angingen, haben wir im Blog beschrieben und dafür auch Unmengen an Fotos produziert, sortiert und ausgewählt. Im Bewusstsein, dass drei Monate Indien nicht nur ungeheuer interessant und eindrucksvoll sind, sondern in dieser erlebten Wucht auch eine Bestätigung ist, es überall schaffen zu können, tauchten wir relativ gelassen in Südostasien ein.

Singapur, Thailand, Laos, Kambodscha zeigten uns ein komplett anderes Gesicht Asiens. Was wir an Vorurteilen bei uns hatten, guten wie schlechten, mussten wir revidieren. Die Methode: “Reset + neue Sicht” empfiehlt sich übrigens überall, selbst wenn man nicht unterwegs ist. Auch diese Region war im Ergebnis höchst beeindruckend. Dort gewesen zu sein, heißt nicht, etwas als erledigt abzuhaken, es ist genau andersherum. Je mehr du kennen lernst, desto größer wird die Neugierde auf den Rest.

Nach einer Zäsur, mit kurzem Heimataufenthalt, der ursprünglich nicht geplant war

… entschieden wir uns eher zufällig, den April und die ersten Maiwochen in Indonesien zu verbringen. Ausschlaggebend waren der Tip zweier junger Holländerinnen und die Wetterlage, denn auf die ganz große Hitze weiter nördlich hatten wir wenig Lust. Indonesien erwies sich im Nachhinein als der Knaller. Ein Land, das wir bisher eher unterschätzt haben, was die Reisemöglichkeiten, Sehenswürdigkeiten und Lebensqualität von Touristen angeht.

Wo wir heute stehen

In den letzten sieben Monaten passierte auch etwas mit uns, was nicht unbedingt vorhersehbar war. Und es wird erst jetzt, in der Reflektion, fassbarer. Älter sind wir und weiser, seit der Entscheidung, mehr Zeit in der Ferne zu verbringen. Nun sind wir zurück. Und um keine Zweifel aufkommen zu lassen, für uns gilt weiterhin: “Nach der Reise ist vor der Reise”. Anders, als wir es uns vorgestellt haben, werden wir jedoch unsere Möglichkeiten lockerer ausschöpfen. Wir wissen nun, dass es uns nicht darauf ankommt, Abwesenheitsrekorde zu brechen, sondern dass wir auch unser Zuhause brauchen.

Die sozialen Kontakte in der Heimat, die kleinen Aufgaben, dort alles up to date zu halten, sind nicht zu unterschätzen. Das machen wir gerne, genießen auch, was anderswo nicht immer so einfach ist, nämlich unsere Leidenschaft, das Laufen. Dabei klingt es eigentlich so einfach: Sportsachen + Laufschuhe einpacken, deine Runden kannst du überall drehen. Und dann bist du in einem Dorf, vor jedem Haus ein knurriger Pitbullverschnitt, Leute auf die Jogging wirkt wie auf uns Michael Jacksons Moonwalk, feuchtheißes Wetter – und verschiebst deine Laufeinheit auf den St. Nimmerleinstag.

Wenn wir früher Reisen in vielen Details präzise vorgeplant haben, funktioniert es heute anders

Wir haben den Mut zur Lücke gelernt, lassen uns lieber vor Ort inspirieren und disponieren dann ad hoc. Was wir uns zumuten dürfen, können wir heute konkreter einschätzen. Wir kennen die Verhältnisse anderswo besser, das macht selbstbewusst. Wir haben gelernt, zufriedener unterwegs zu sein, weil wir Ziele und Erwartungen realistisch ansetzen. Meistens übertrifft dann die Wirklichkeit doch wieder die Erwartungen, das nehmen wir als Geschenk gerne an.

Bestätigt haben wir für uns selbst, dass wir Herausforderungen auch in unserem Alter meistern und schwierige, ungewohnte Situationen beherrschen können. Das kommt uns überall zugute. Ganz wichtig, Reisen in Länder mit komplett anderen Kulturen schärfen unseren Blick und relativieren den eigenen Horizont.

Die wichtigste Erkenntnis ist vielleicht

… zu spüren, wie unsere Art zu reisen uns jung erhält. Körper und Kopf werden gefordert, ebenso die Fähigkeit, Kontakte zu knüpfen und auf Menschen zuzugehen. Wir bleiben dialogfähig, haben nette Erlebnisse mit anderen Travellern und Einheimischen, kurz – wir lernen ständig dazu. Kann sein, dass wir damit den Jungbrunnen entdeckt haben. Auf jeden Fall bleibt unsere Leben weiter spannend und macht uns neugierig auf die Zukunft. Anderen Travellern geht es ähnlich – und das ist eine weitere, schöne Bestätigung, dass wir auf dem richtigen WEG sind.

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